Der Tag, an dem Tschechien mit der Prohibitionspolitik brach
Am 30. Mai 2025 verabschiedete das tschechische Abgeordnetenhaus eine Strafrechtsreform, die einen Wendepunkt in der Cannabispolitik des Landes markiert.
Das Gesetz, das noch den Senat passieren und von Präsident Petr Pavel unterzeichnet werden muss (der bereits signalisiert hat, dies zu tun), legalisiert den privaten Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen pro Erwachsenem. Zudem wird der Besitz von bis zu 100 Gramm getrockneten Blüten in der eigenen Wohnung sowie bis zu 25 Gramm im öffentlichen Raum erlaubt.
Der erfahrene tschechische Aktivist Lukas Hurt bestätigte die Nachricht in den sozialen Netzwerken. Hurt, einer der prominentesten Vertreter der tschechischen Cannabisbewegung, bezeichnete die Maßnahme als “den größten Schlag gegen die Prohibition der letzten 70 Jahre”.
Die Reform umfasst zudem die therapeutische Nutzung von Psilocybin, einem Wirkstoff aus bestimmten Pilzarten, der rechtlich dem medizinischen Cannabis gleichgestellt wird.
Doch wie konnte Tschechien diesen Meilenstein erreichen? Um die Tragweite dieses Wandels zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den bisherigen rechtlichen Rahmen und dessen Widersprüche.
Das rechtliche Labyrinth von Cannabis in Tschechien: Von Grauzonen zur Reform
Trotz seines Rufs als eines der cannabisfreundlichsten Länder Europas war die Gesetzeslage in Tschechien jahrelang geprägt von einem Mix aus gesellschaftlicher Toleranz und restriktiven Vorschriften.
Teilentkriminalisierung seit 2010
Bereits 2010 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die den Besitz kleiner Mengen Cannabis entkriminalisierte, ohne jedoch Konsum oder Anbau umfassend zu regeln. Das Strafgesetzbuch sah Folgendes vor:
- Besitz von bis zu 15 Gramm getrocknetem Cannabis oder fünf Pflanzen galt als Ordnungswidrigkeit und wurde mit Bußgeldern von bis zu 15.000 Kronen (etwa 600 Euro) geahndet.
- Überschreitungen dieser Mengen galten weiterhin als Straftat und konnten mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden.
Diese Regelung war zwar ein Fortschritt gegenüber repressiveren Politiken, schuf aber weiterhin eine erhebliche Rechtsunsicherheit für viele Konsumenten. Besonders Eigenanbauer, die lieber selbst anbauten, statt auf den Schwarzmarkt zurückzugreifen, waren weiterhin unverhältnismäßigen Sanktionen ausgesetzt.
Medizinisches Cannabis seit 2013 – jedoch mit Hürden
Im April 2013 wurde die medizinische Verwendung von Cannabis legalisiert, allerdings mit zahlreichen Einschränkungen:
- Zulässig nur für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen.
- Erhältlich ausschließlich in Apotheken, jedoch herrschte dort akuter Versorgungsmangel.
- Die hohen Preise führten zu einem elitären Zugang.
- Der nationale Anbau war zudem streng reguliert und an wenige Lizenzen gekoppelt.
In der Praxis entschieden sich viele Patienten daher für den Eigenanbau von medizinischem Cannabis und gingen damit das Risiko administrativer oder strafrechtlicher Konsequenzen ein.
Die Diskrepanz zwischen Gesetz und gesellschaftlicher Realität wurde immer offensichtlicher. Die Vorschriften hinkten der öffentlichen Wahrnehmung und Nutzung von Cannabis zunehmend hinterher. Trotz aller Einschränkungen entwickelte sich in Tschechien über Jahrzehnte eine aktive, sichtbare Cannabiskultur. Prag gilt bis heute als progressive Metropole und Gastgeberinstadt internationaler Cannabismessen.
Es war also höchste Zeit für eine Gesetzesreform, die diese Realität anerkennt und der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz gerecht wird.
Was bedeutet die neue Cannabis-Reform konkret?
Die verabschiedete Vorlage ist zweifelsohne ein Meilenstein. Die wichtigsten Neuerungen im Überblick:
- Eigenanbau: Bis zu drei Cannabispflanzen pro Erwachsenem dürfen legal im eigenen Haushalt angebaut werden.
- Besitz: Erlaubt sind bis zu 100 Gramm getrocknete Blüten in der Wohnung und bis zu 25 Gramm im öffentlichen Raum.
- Sanktionen: Der Besitz von vier bis fünf Pflanzen sowie 100 bis 200 Gramm Blüten wird künftig als Ordnungswidrigkeit behandelt. Erst beim Anbau von mehr als fünf Pflanzen oder dem Besitz von über 200 Gramm drohen strafrechtliche Konsequenzen.
- Öffentlicher Konsum: Bleibt in nicht speziell ausgewiesenen Bereichen weiterhin verboten.
Das neue Modell strebt ein Gleichgewicht an zwischen dem Recht auf Eigenkonsum und staatlicher Kontrolle. Ziel ist es, die Justiz von Bagatelldelikten zu entlasten und zugleich mehr Rechtssicherheit für Konsumenten zu schaffen. Sofern der Senat keine wesentlichen Änderungen einbringt und der Präsident das Gesetz unterzeichnet, tritt die Reform am 1. Januar 2026 in Kraft.
Wie positioniert sich Tschechien im europäischen Vergleich?
Die schrittweise Cannabisregulierung in Europa schreitet sichtbar voran. Doch jedes Land verfolgt seinen eigenen Ansatz. Im Vergleich zeigt sich Tschechien besonders liberal in puncto Besitzmengen:
- Malta (2021): Erlaubt den Anbau von vier Pflanzen pro Haushalt sowie den Besitz von 50 Gramm.
- Luxemburg (2023): Erlaubt vier Pflanzen pro Haushalt und den Besitz von drei Gramm im öffentlichen Raum.
- Deutschland (2024): Legaler Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen, Besitz von 50 Gramm Cannabis.
- Tschechien: Bis zu drei Pflanzen pro Erwachsenem, Besitz von 100 Gramm zu Hause und 25 Gramm unterwegs.
Die offizielle Motivation hinter der Reform ist eindeutig: Die Justiz entlasten, Polizeiresourcen effizienter einsetzen und die Gesetzgebung an die gesellschaftliche Realität anpassen.
Justizminister Pavel Blažek brachte es auf den Punkt: “Wir müssen zwischen schweren Straftaten und dem Verhalten jener unterscheiden, die einige wenige Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen, ohne anderen zu schaden.”
Das gestufte Sanktionsmodell verfolgt genau diesen Ansatz: Übermäßigen Besitz oder Handel sanktionieren, aber verantwortungsvolle Konsumenten nicht kriminalisieren.
Die Reform soll zudem den Schwarzmarkt eindämmen, die Kontrolle und Sicherheit von Cannabisprodukten verbessern und dem Staat jährlich Millionen an Justiz- und Inhaftierungskosten ersparen. Analysten gehen von Einsparungen von bis zu 60 Millionen Euro pro Jahr aus.
Eine grüne Zukunft für Tschechien
Auch wenn das Gesetz noch die letzte Hürde im Senat nehmen muss, deutet alles auf dessen Verabschiedung und Unterzeichnung durch den Präsidenten hin. Sollte es keine Überraschungen geben, dürfen die Bürger ab dem 1. Januar 2026 ihre eigenen Cannabissamen pflanzen.
Laut Aktivisten und Mitgliedern der Piratenpartei ist damit jedoch nicht Schluss: In den kommenden Jahren soll die Debatte über eine vollständige Marktregulierung, Dispensaries, Besteuerung und die Einführung von Cannabis Social Clubs voranschreiten.
In einem Europa im Wandel positioniert sich Tschechien damit als Vorreiter. Auch wenn die Reform für viele nicht umfassend genug ist, markiert sie dennoch einen historischen Schritt, der endlich die Grundrechte von Cannabiskonsumenten anerkennt.